„Dein Name ist aber selten“, „Kannst du das buchstabieren?“ oder „Ich wusste gar nicht, dass dein Name so geschrieben wird.“

Einige Leute kennen diese Fragen und Aussagen zur Genüge. Sobald es mal nicht Hans oder Heidi ist, wird es für manche monokulturellen Einheimischen direkt kompliziert.

Klingelschild mit vielen unterschiedlich klingenden Namen
Klingeln bei der Gesellschaft der Vielen (Namen)

 

Wie wichtig sind Namen?

Unsere Namen sind Kernbestandteil unserer Identität. Wir beziehen uns auf sie. Wir verändern sie in unseren Freund*innenkreisen, geben uns Kosenamen, Spitznamen. Wir stellen uns mit ihnen vor. Ohne Namen wäre unsere Identität fragmentiert. Unsere Namen haben Geschichten, hängen mit unseren Vorfahren, unserer Familie oder unserem Geburtstag zusammen. Wenn andere uns ärgern wollen, läuft das auch viel über Namen. Viele kennen das aus der Schulzeit, wenn Namen Gegenstand von Spott und Hänseleien werden. Und wenn unsere Namen ohne unsere Zustimmung verändert bzw. verfälscht werden, kann das sehr wehtun. Alles in allem spielen Namen eine große Rolle für uns.

 

Was hat das mit Rassismus zu tun?

So wie bestimmte Personen rassifiziert, also in rassistische Kategorien eingeteilt werden und dadurch eine Andersmachung erleben, passiert das gleiche mit Namen. Manche Namen erscheinen als Bestandteil des kollektiven Wissens, des Namens-Wortschatzes. Bestimmte Namen sind allen bekannt, andere nur manchen. Das hängt auch mit der Häufigkeit zusammen, mit der sie vergeben werden, aber nicht nur. Angela ist sicher nicht der häufigste Name, trotzdem kennen ihn alle. Das liegt auch daran, dass dieser Name sehr häufig in der Öffentlichkeit zu hören, sehen und lesen ist. In Deutschland haben da bestimmte Namen einen uneinholbaren Vorsprung.

Das liegt zum einen daran, dass kanakisierte, als undeutsch wahrgenommene und nicht-weiß gelesene Namen seltener in der öffentlichen Wahrnehmung auftauchen. Und zum anderen, weil diese Namen in Deutschland als fremd, nicht-zugehörig und deshalb als nicht-(kennen)lernenswert konstruiert werden, trotz ihrer jahrzehntelangen Geschichte in diesem Land. Die Ursache dafür liegt in der spezifisch völkisch-rassistischen deutschen Art und Weise, wie Fremdheit, Fremdsein und Zugehörigkeit zum Deutschsein definiert werden. Alles, was nicht sowieso schon immer (bzw. soweit das historische Gedächtnis halt reicht) hier war, gehört nicht dazu und behält auch immer einen zumindest leichten Touch des Fremdseins; das wird unter anderem deutlich an Fragen wie: „Aber wo kommen denn deine Großeltern her?“ In letzter Konsequenz führt das unter anderem dazu, dass Namen konsequent falsch ausgesprochen werden weil „ist ja zu kompliziert“. Oder sogar umgewandelt werden in klassische „deutsche“ Namen, wo dann Deniz mal eben schnell zu Dennis wird.

Bei der Umwandlung in „urdeutsche“ Namen verhält es sich finde ich ähnlich wie mit rassistischen Fremdbezeichnungen für Personengruppen. Um die Handlungs- und Deutungshoheit über die eigene Gruppenbezeichnung zu behalten und sich von rassistischen, weißen Fremdbezeichnungen zu befreien, wählen Leute andere Begriffe oder eignen sich die rassistischen Begriffe selbst an. Es geht dabei darum, nicht fremdbestimmt bzw. fremd-benannt zu werden. Rassistische Fremdbenennung hat eine lange Tradition und ist zentraler Gegenstand antirassistischer Kämpfe. Der Kampf um die Benennung steht stellvertretend für die Selbstbestimmung. Bei Namen ist es ähnlich, quasi: „ich will so heißen und genannt werden, wie ich will, nicht so wie es dir beliebt“.

 

Komplizierte Gefühle

Wenn einige Namen in einer Gesellschaft konsequent als fremd markiert werden, indem sie falsch ausgesprochen oder geschrieben werden, dann hat es Auswirkungen auf die Namensträger*innen. Sie hinterfragen ihre Zugehörigkeit, fühlen sich fehl am Platz. Verstärkt wird dieser Effekt, wenn es im Gegenzug dazu Namen gibt, deren Zugehörigkeit fast natürlich wirkt, deren Existenz nicht in Frage gestellt wird. Muss ein Kind in der Grundschule jede*r Lehrer*in den Namen neu buchstabieren bzw. die Aussprache beibringen, wird es sich mit ziemlicher Sicherheit an diese Form von Andersmachung gewöhnen.

In der Folge buchstabieren Leute ihre Namen ungefragt direkt bei der Vorstellung oder reservieren in Restaurants auf anderen Namen. Oder geben ihren Kindern „deutsche“ Namen, damit sie „es leichter haben“. Ebenso kommt es zur „Verdeutschung“ von Namen, zwangsweise vom Amt oder wahlweise durch die Familien, die nicht dauernd mit Rassismus konfrontiert sein wollen. Im Endeffekt geben Leute Teile ihrer Identität auf oder verstellen sich, damit sie keinen Rassismus oder Verletzungen erfahren, weil andere mit ihren Namen überfordert sind. Das alles geht einher mit einem Gefühl des Unvollständig-sein, so als würde etwas fehlen oder nicht am richtigen Platz sein.

 

Wenn Namen zum Problem werden

Gerade im Berufsleben oder bei der Wohnungssuche wird es leider nicht nur kompliziert, sondern für diejenigen, deren Namen vermeintlich fremd sind zum Problem: Personen mit Namen, die nicht als „ursprünglich deutsch“ wahrgenommen werden, sind auf dem Wohnungsmarkt klar benachteiligt und werden seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Das wissen sogar die Hamburger MoPo und Der SPIEGEL. Hier hat die rassistische Einteilung von Namen dann immense Auswirkungen auf ihre Träger*innen. Aber wieso kann das nach einer so langen Migrationsgeschichte überhaupt noch passieren?

 

Alte Namen – neue Namen

Nach über 60 Jahren intensiver Migrationsbewegung nach Deutschland zum Beispiel aus der Türkei wäre eigentlich zu erwarten, dass sich manche Namen in der bundesdeutschen Gesellschaft etabliert und in die gesellschaftliche „Normalität“ eingefügt hätten. Stattdessen werden Personen immer noch aufgrund ihrer Namen kategorisiert und ausgegrenzt.

Während das „grz“ im Nachnamen des Tierfilmers Grzimek mit Leichtigkeit korrekt über die deutschen Zungen geht, wird der Name des vom NSU ermordeten Enver Şimşek ostentativ falsch als „sim·sek“ ausgesprochen, wie es der Rapper Kutlu Yurtseven in Die Anstalt (ab Min. 11:00) deutlich macht. In dieser Weigerung der Akzeptanz der einfachsten Sprachregeln liegt eine bewusste Verachtung und Ausgrenzung von Menschen, die von Rassismus betroffen sind.

Kaum ein*e Fussballkommentator*in kommt ohne Falschaussprachen aus und ausländische Politiker*innen aus bestimmten Staaten werden falsch genannt, sofern sie nicht aus westlichen Ländern kommen. (Bei französischen oder englischen Namen klappt es ja meistens doch – oh Wunder.) Manchmal erscheint das noch verzeihbar. Aber gerade bei Namen von Leuten, die seit Jahrzehnten hierzulande leben, arbeiten und mit ihren Steuergeldern die deutschen Rentner*innen-Urlaube zum Beispiel nach Antalya mitfinanziert haben, wäre es doch sicherlich angebracht, sich ein bisschen mehr Mühe zu geben – ist aber nicht drin. Was das Namenlernen angeht, hat sich die sogenannte Mehrheitsgesellschaft wirklich nicht mit Ruhm bekleckert.

(Etwas off-topic: Erst die Abstimmung über das Präsidialsystem 2017 hat dazu geführt, dass ein paar (genauer zwei) türkische Worte bewusst in den Wortschatz des weißen bio-deutschen Mainstreams gelangt sind. Noch nicht einmal jahrzehntelanges Urlauben in Antalya hat dafür in den meisten Fällen gereicht.)

 

Woran liegt das?

Das ganze lässt sich für mich nur damit erklären, dass die weiß dominierte Gesellschaft es nicht für nötig hält, sich ernsthaft mit der Migrationsgeschichte Deutschlands auseinanderzusetzen. Die am Anfang (es war einmal…) vorherrschende Ansicht, dass die Leute eh bald wieder gehen und nur zu Gast seien, hat sicherlich ihren Teil dazu beigetragen. Wenn Leute eh bald wieder weg sind, brauche ich ihre Namen auch nicht so gut zu lernen. Das sieht anders aus, wenn ich weiß, dass sie ab jetzt für immer da sind. Zu dieser Einsicht kam es allerdings erst verhältnismäßig spät. Der sich abzeichnende Wandel hin zum Verständnis Deutschlands als ein Einwanderungsland kann vielleicht dazu beitragen, dass sich etwas in die Richtung ändert. Bei weiten Teilen der Bevölkerung (gemeint sind hier die Teile, die sich aus besorgniserregenden Bürger*innen, AfD-Wählenden und Nazis zusammensetzen) ist ein Wille zur Integration in die Einwanderungsgesellschaft – die Gesellschaft der Vielen – sicherlich nicht vorhanden. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens der restliche Teil endlich vorankommt.

 

Rassistische Morde – unbekannte Ermordete

Als ich einem weißen Freund neulich meinen Namen vorbuchstabiert habe, entschuldigte er sich dafür vorher falsch gelegen zu haben, relativierte die Entschuldigung dann aber – als würde er ein Lehrbuchbeispiel produzieren wollen – mit dem Satz: „Der Name ist aber schon ungewöhnlich.“

Menschen mit diesem Namen wurden in Deutschland von Faschisten umgebracht, da kann man schon mal wissen wie die geschrieben werden

war meine Antwort.

Dass Leute noch nicht einmal in der Lage sind, Namen zu kennen, die Menschen getragen haben, die in diesem Land der tödlichen Ideologie von Faschisten zum Opfer gefallen sind, erschüttert erneut. Spätestens nach dem Auffliegen des NSU-Netzwerkes und während des jahrelangen Prozesses in München gab es genug Gelegenheiten, die Namen zu lernen. Doch auf deutsche Ignoranz ist Verlass – aus der Vergangenheit nichts gelernt! Was mich besonders frustriert und traurig macht ist, dass sogar sich selbst als links und antirassistisch verstehende (und meistens weiße) Menschen dazu nicht in der Lage zu sein scheinen.

Das führt dazu, dass die Namen derer, die Opfer rassistischer Gewalttaten wurden, hierzulande oft unbekannt sind, auch wenn die Taten an sich erinnert werden. Die Namen der TäterInnen kennen dagegen alle – sogar dann wenn ihre Namen wie bei Zschäpe oder Szczepanski selber nicht „urdeutsch“ sind. Ihre rassistischen Gewalttaten sind quasi die bestandene Aufnahmeprüfung in den deutschen Sprachschatz. Die Namen der Ermordeten zu lernen, wäre in meinen Augen das Mindeste und auch ein unausweichliches Ergebnis einer diesbezüglichen Selbstkritik.

 

Was also tun mit Namen?

Im Grunde ist es relativ einfach – wenn ich Namen nicht kenne, gebe ich mir große Mühe sie richtig auszusprechen. Wenn ich es nicht hinbekomme, frage ich vielleicht noch mal höflich nach und übe. Und beschwere mich nicht darüber, dass es ja so kompliziert sei. Wer Namen wie Schweinsteiger oder Liebknecht aussprechen kann, kriegt auch andere hin.

 

Bild: Daniel Ullrich CC


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